Montag, 22. Februar 2016

Fazit zum Einjährigen: Überblick über offene Rechtsfragen zum MiLoG ein Jahr nach Inkrafttreten

Von dem Beginn der Debatte im Gesetzgebungsverfahren über das Inkrafttreten bis heute war und ist das Gesetz zum Mindestlohn (MiLoG) heiß diskutiert. Während erste Stellungnahmen auch von wirtschaftlicher Seite durchaus positiv gefärbt sind, haben sich auf rechtlicher Seite einige Fragestellungen herausgebildet, über die im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden soll.




Einbeziehung von Sonderzahlungen
 
Nach wie vor strittig, und im MiLoG selber nicht geregelt, ist die Frage, welche Zahlungen in die Berechnung des Mindestlohns mit eingehen. Dieser berechnet sich im Grunde aus der Differenz des Monatsbruttogehalts geteilt durch die Anzahl der tatsächlich im Monat geleisteten Stunden (ergibt den Bruttostundensatz). Diskutiert wird aber die Frage, in welchem Umfang „Sonderzahlungen“ zum Monatsbruttogehalt zählen.

Insbesondere das BMAS und der Zoll vertreten bisher eine Linie, wonach nur solche Leistungen anzurechnen sind, die sich als Vergütung für die normale Arbeitsleistung darstellen. Vergütungen für Sonderleistungen wie Überstunden, Nachtarbeit, Weihnachtsgeld etc sind danach nicht erfasst. Diese Beurteilung geht zurück auf die Entsende - Richtlinie (Art. 3 I RL 96/71/EG) und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH. Allerdings ist zu beachten, dass der EuGH selber bezüglich der Anrechenbarkeit von Sonderleistungen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten für maßgeblich hält (EuGH ECLI:EU:C:2013:711).

Nach einer vor allem im Schrifttum vertretenen Auffassung ist all das mit einzubeziehen, was Entgeltcharakter hat. Argumentativ wird darauf abgestellt, dass der gesetzgeberische Zweck des MiLoG die Sicherung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers war, hierfür spiele es aber keine Rolle, aus welchem Grund der Arbeitnehmer eine Zahlung erhalte.
In denen hierzu bis lang ergangenen Entscheidungen wurden von den damit befassten Gerichten beide Ansichten vertreten, eine einheitliche Rechtsprechungslinie ist noch nicht erkennbar (s. AG Berlin, NZA-RR 2015, 404; LAG Brandenburg Urt. v. 25.9.2015 - 8 Sa 677/15; AG Bautzen, Urtl. v. 25.6.2015 - 1 Ca 1094/15 gegen eine Anrechnung; s. AG Herne Urt. v. 7.7.2015 - 3 Ca 684/15; AG Düsseldorf, Urt. v. 20.4.2015 - 5 Ca 1675/14 für eine Anrechnung).

Diesbezüglich bleibt es also spannend, welcher Ansicht sich die Rechtsprechung letztendlich anschließen wird.


Begriff der Inlandsbeschäftigung

Ein weiteres Problem ergibt sich bezügliches Begriffes der „Inlandsbeschäftigung“ im Sinne des § 20 MiLoG und damit der Reichweite der Anwendung des MiLoG auf Sachverhalte mit Auslandsbezug.
Grundsätzlich gilt das MiLoG für jeden, der auf deutschen Staatsgebiet einer Tätigkeit nachgeht, unabhängig davon, ob er einen ausländischen Arbeitgeber hat und / oder nur kurzfristig in Deutschland tätig ist.

Daher sind nach einer wortlautgetreuen Auslegung auch Arbeitnehmer erfasst, die nur auf Durchreise in Deutschland sind, wie zum Beispiel ein Lkw-Fahrer, welcher seine Güter von Polen in die Niederlande transportiert und dabei durch Deutschland fährt. Eine solche weite Auslegung wird aber zum Teil abgelehnt. Argumentiert wird zum Einen mit den damit einhergehenden praktischen Problemen bei der Umsetzung sowie der Frage, ob es für eine Verwirklichung der Ziele des MiLoG wirklich erforderlich ist, diese Fälle zu erfassen.

Das BMAS hat bisher an einer weiten Auslegung festgehalten, allerdings eine Übergangsregelung für die oben genannten Fälle des sogenannten „reinen Transitverkehrs“ (bei denen Start und Endpunkt außerhalb von Deutschland liegt) beschlossen: Danach haben die Arbeitnehmer nach wie vor einen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns, allerdings werden die Kontrollen und die Ahndung von Verstößen durch den Zoll ausgesetzt sowie bereits eingeleitete Verfahren eingestellt. Ob es bei dieser Beurteilung bleiben wird, ist offen.

Die sich aus Anwendung des MiLoG auf Sachverhalte mit europäischen Bezug ergebende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit hat bereits dazu geführt, dass die europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet hat, dieses ist aber noch nicht abgeschlossen (Pressemitteilung der Europ. Kommission v. 19.5.2015, IP/15/5003)
Bedenken bezüglich einer weiten Auslegung dieses Begriffes bei sehr kurzfristigen Tätigkeiten sind auch beim BVerfG und beim EuGH erkennbar. Das BVerfG hat zwar eine Verfassungsbeschwerde, in der es unter anderem auch um diese Frage ging, für unzulässig erklärt, diese aber zwecks weiterer fachgerichtlicher Aufarbeitung zurückverwiesen, wobei insbesondere die Frage fachgerichtlich zu klären sei, ob auch lediglich kurzfristige Tätigkeiten auf dem deutschen Staatsgebiet eine Inlandsbeschäftigung darstellen.

Dies macht es nicht unwahrscheinlich, dass diese Frage in Kürze dem BVerfG oder dem EuGH vorgelegt werden wird.

Meldepflichten nach §§ 16, 17 MiLoG

Nach §§ 16, 17 MiLoG treffen den Arbeitgeber eine Reihe von Pflichten, die einen hohen bürokratischen Aufwand bedeuten. Dazu zählen neben dokumentsbezogenen Aufbewahrungspflichten auch umfassende Meldepflichten, zum Beispiel bezüglich Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers sowie eine eigenständige Versicherung des Arbeitgebers, den Mindestlohn zu zahlen. Nach der Grundkonzeption des MiLoG gilt dies für jede Tätigkeit und jeden Arbeitnehmer.
Um die Arbeitgeber aber zu entlasten, wurde bereits von der Ermächtigung in § 16 III MiLoG Gebraucht gemacht und mehrere Verordnungen erlassen, welche die Pflichten der Arbeitgeber in bestimmten Fällen begrenzen.
So entfallen zum Beispiel nach der MiLoDokV die Melde- und Dokumentationspflichten für Arbeitnehmer, deren regelmäßiges Monatsentgelt über 2958 Euro liegt (wobei zu beachten ist, dass das BMAS die Grenze auf 2000 Euro herabgesenkt hat).
Zudem ist es nach § 2 I MiLoMeldV in bestimmten Fällen, welche insbesondere bei Schicht- und Nachtarbeit, sowie bei mobilen Tätigkeiten und Beschäftigungen mit wechselnden Beschäftigungsorten ausreichend, wenn eine sogenannte Einsatzplanung vorgelegt wird. Nach der MiLoAufzV ist es wiederum bei Arbeitnehmern, die ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich einteilen können, ausreichend, wenn die Dauer aufgezeichnet wird. Diese und weitere Regelungen führen bereits zu einer Entlastung der Arbeitgeber, dennoch bleibt abzuwarten, wie der EuGH bezüglich eines Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit urteilen wird.

Auftraggeberhaftung

Ein weiteres Feld mit ungeklärten Komponenten ist die Auftraggeberhaftung nach dem MiLoG. Die Anwendung von § 13 MiLoG kann dazu führen, dass nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Auftraggeber zivilrechtlich haftet bzw. ordnungswidrig handelt, wenn den Bestimmungen des MiLoG bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern nicht genügt wird. Strittig hierbei ist der Begriff des Auftraggebers. Einerseits könnte man eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung vornehmen und daraus eine umfassende Haftung bei Werk- und Dienstleistungsverträgen ableiten. Andererseits aber könnte man sich auch am Begriff des Auftraggebers aus § 14 AEntG orientieren. Diesbezüglich wird der Begriff vom BAG zurückhaltend gehandhabt und im Sinne einer „Generalunternehmerhaftung“ verstanden. Demnach fällt darunter nur derjenige, der für ein Gesamtprojekt verantwortlich ist und zur Erfüllung seiner eigenen vertraglichen Pflichten gegenüber dem Dritten Subunternehmer einsetzt. Da dies in den Grundsätzen überzeugt, ist davon auszugehen, dass das BMAS geneigt sein wird, der letzteren Auffassung zu folgen.

Anpassung des Mindestlohn

 
Mit Spannung erwartet wird die erste Anpassung des Mindestlohn durch die Mindestlohnkommission. Über diese muss gem. § 9 MiLoG bis zum 30.06.2016 entschieden werden, Wirkung entfaltet sie ab dem 1.1.2017. Nach Expertenmeinung ist mit einer moderaten Anhebung zu rechnen.

Bezüglich einer abschließenden Klärung der aufgeworfenen Fragen ist zu erwarten, dass es über kurz oder lang zu höchstrichterlichen Entscheidungen des BVerfG und insbesondere auch des EuGH kommen wird.

Wir werden Sie diesbezüglich auf dem Laufenden halten!


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