Montag, 4. Mai 2015

Händlerbeschränkung in selektiven Vertriebssystemen | LG Mainz: Verbot der Nutzung "FBA - fulfillment by amazon" kartellrechtswidrig

Kartellgerichte mussten sich seit den Zeiten des wachsenden Internetshoppings insbesondere wegen sogenannter "Drittplattformen" wie amazon oder ebay, vermehrt mit der Frage auseinander setzen, welche Beschränkungen Hersteller ihren Vertragshändlern hinsichtlich des Warenverkaufs im Internet auferlegen dürfen. 

Im folgenden Beitrag geht es um die Frage, ob es wettbewerbsrechtlich zulässig ist, Händlern zu verbieten, für den Versandvorgang etc. einen Logistikservice wie "fulfillment by amazon" zu nutzen.


 1. Das selektive Vertriebssystem und einschränkende Händlerklauseln

Als Produkthersteller stehen einem heutzutage eine Vielzahl an Vertriebsmöglichkeiten zur Auswahl. So bleibt nicht nur der „klassische“ Vertrieb der Produkte im Verkaufsladen, sondern auch der Weg über das Internet. Bei der Ausgestaltung ihrer Vertriebssysteme bedienen sich die Hersteller  häufig zwischengeschalteter Händler. Vor allem herauskristallisiert hat sich das sogenannte „selektive Vertriebssystem“.

Selektiv insofern, als dass der Hersteller bestimmte objektive Auswahlkriterien hinsichtlich seiner Vertragshändler festlegen kann. Es ist daher nicht nur möglich, die Händlerzahl an sich zu beschränken, sondern auch qualitative Anforderungen an die Händler zu stellen, wie beispielsweise das Bereitstellen

  • einer bestimmten Verkaufsfläche für das konkrete Produkt oder 
  • von geschultem Personal zur Kundenberatung.

Ein selektives Vertriebssystem findet sich vor allem im Bereich von hochwertigen Markenprodukten, da die Hersteller durch Auswahl ihrer Vertragshändler das Image ihres Markenproduktes sicherstellen wollen. Aus diesem Grund kommt es immer wieder dazu, dass Hersteller von qualitativ hochwertigen Produkten ihren Händlern den Vertrieb über das Internet untersagen oder zumindest einschränken, da beispielsweise eine persönliche Kundenberatung nicht erfolgen kann oder ein Imageschaden befürchtet wird.
Doch eben genau hier kommt es in Hinblick auf das Kartellrecht oft zu juristischen Schwierigkeiten. 

Gemäß § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sind vor allem Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Wird einem Händler also der Vertrieb über das Internet versagt oder eingeschränkt, so ist dieser in seiner wettbewerblichen Handlungsfähigkeit - in Anbetracht der Bedeutung des Internethandels - unter Umständen und je nach Art der auferlegten Beschränkung, nicht nur unwesentlich beeinträchtigt. Gleiche rechtliche Bestimmungen finden sich auch auf europarechtlicher Ebene (Art. 101 AEUV).

Hinsichtlich eines vollständigen Verbots des Verkaufs über das Internet hat sich der Europäische Gerichtshof bereits im Jahre 2011 in der Sache „Pierre Fabre“ (Rechtssache C-439/09), die auch von deutschen Gerichten als Beurteilungsmaßstab herangezogen wird,  geäußert. Vorliegend ging es um Kosmetikprodukte im oberen Preissegment, deren Verkauf laut Hersteller Pierre Fabre nur in einem „physischen Verkaufsraum“ unter Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen durfte.

De facto ausgeschlossen war daher jeglicher Vertrieb der Produkte via Internet durch die Händler. 

Zwar ist laut EuGH die Auswahl eines selektiven Vertriebssystems per se nicht wettbewerbswidrig, dennoch unterliegt ein solches System bestimmten Anforderungen. So muss nicht nur das in Frage stehende Produkt ein solches Vertriebssystem erfordern - wovon bei hochwertigen Produkten und Marken auszugehen ist - sondern auch die Auswahl der vertraglich zugelassenen Händler an Hand objektiver Kriterien erfolgen, die ihrerseits nicht über das erforderliche Maß hinausgehen dürfen.

Vorliegend scheiterte es vor allem an Letzterem, da in Anbetracht der betroffenen Produkte ein vollständiger Ausschluss des Internetvertriebs nicht gerechtfertigt war.

Die Rechtmäßigkeit solcher Klauseln in den Händlerverträgen hängt also immer von den Eigenschaften des entsprechenden Produktes ab. 

Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass eine solche Klausel ausnahmsweise gerechtfertigt ist und keine unzulässige Beschränkung des Wettbewerbs vorliegt.

2. Das Verbot zur Nutzung eines Logistiksupports verstößt gegen Kartellrecht

Was hat es nun, neben diesen eben skizzierten, klassischen, wettbewerbsrechtlichen Fragen zu Verboten im Rahmen selektiver Vertriebssysteme damit auf sich, wenn ein Hersteller seinen Händlern über sogenannte "Regeln für Distributoren" verbieten möchte, Fulfillmentsysteme der Drittplattformen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 23. März 2015 des Landgerichtes Mainz (Az. : 12 HK O 85/14)?

Vorliegend ging es um solche Distributorenregeln, die für Vertragshändler den Internetvertrieb zwar nicht gänzlich, jedoch über den Logistiksupport „FBA- fulfillment by amazon“ untersagen wollten.

Exkurs: "FBA" - fulfillment? Was ist das? 

Hierbei handelt es sich um einen Service, z.B. von amazon, der Dienstleistungen für Einlagerung, Verpackung und Versand von Waren umfasst und für die Händler somit eine wesentliche Zeitersparnis und Logistiksupport darstellt. Die Händler können ihre Ware, die sie in ihrem amazon-Shop anbieten, nämlich direkt bei amazon einlagern. Bei Verkauf eines Artikels wird dieser sogleich durch amazon verpackt und verschickt. Der Händler muss sich folglich um die Einlagerung, Verpackung und Versand nicht selbst kümmern, was insbesondere bei großen Waren und großen Verpackungen wegen der hierfür benötigten Lagerfläche, für Händler interessant ist.

Diesen Service bietet natürlich nicht nur amazon an. Solche Logistikservices finden sich bei vielen Drittplattformen (amazon, ebay, etc.), die ihren Händlern damit den Aufwand rund um den Verkauf von Artikeln, erleichtern wollen.

Der hiesige Hersteller wollte seinen Händlern die Nutzung jeglicher Fulfillmentsysteme von Drittplattformen untersagen.

Als Begründung  für das Verbot führte der Hersteller an, dass bei einer Verwendung des FBA-Systems durch die Händler die Produkte Gefahr laufen würden, im Lager, etwa von amazon, mit billigen Plagiaten anderer Händler verwechselt zu werden.

Der Händler der Produkte jedoch konnte auf diesen Fulfillment-Service keines Falles verzichten: Bei Wirksamkeit des Verbotes hätte er nur für den Verkauf der hier maßgeblichen Produkte zusätzliche Lagerfläche anmieten und Personal einstellen müssen, um die Verkaufsabwicklung selbst durchzuführen. Durch diesen zusätzlichen Mehraufwand wäre der Händler nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen, er hätte den Verkauf der Produkte einstellen müssen.

3. FAZIT
 

Das erkannte auch das Landgericht Mainz und sah in der in Rede stehenden Distributorenregeln eine spürbare Einschränkung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit der Händler. 

Durch die Untersagung der Nutzung eines gesamten Vertriebssystems eines der größten Online-Händler weltweit ist es für die Vertragshändler demnach nur beschränkt möglich gewesen, sich auf dem Markt zu positionieren und vor allem wettbewerbsfähig zu bleiben. Viel wichtiger sei es laut Gericht jedoch, dass der Hersteller vorliegend jegliche Belieferung mit seiner Ware von der Einhaltung dieser Untersagung abhängig machte. Laut Gericht ging  dies „über die zulässige Möglichkeit der Formulierung von qualitativen Voraussetzungen für ein bestimmtes Vertriebssystem weit hinaus und führt im Ergebnis dazu, dass der Kläger, so lange er das FBA-System und diese Plattform nutzt, von der Belieferung vollständig abgeschnitten ist“.

Die "Regeln für Distributoren" als quasi Distributorenvertrag und somit als „Vereinbarung“ im Sinne von § 1 GWB erkannte das Gericht daher als kartellrechtlich unzulässig an.
 

4. Ausblick

Selbstverständlich haben Hersteller von Marken ein Interesse daran, ihren Markenaufbau zu fördern und die Marke gemäß ihrer Markenpolitik zu verkaufen oder verkaufen zu lassen. Deswegen sehen die Gerichte nach wie vor, dass es durchaus zulässig ist, Anforderungen im Rahmen selektiver Vertriebssysteme zu stellen. Diese Anforderungen dürfen die Händler jedoch nicht derart stark beschränken, dass ein ordentliches Wirtschaften mit dem Verkaufsprodukt im Internet quasi nicht mehr möglich ist.

Wenn Sie sich mit der Ausgestaltung Ihrer Distributorenverträge unsicher sind oder bestimmte Kriterien für Ihre Markenpolitik festlegen möchten, so sind wir gerne für Sie da und überprüfen Ihre Verträge, um einer potentiellen Gefahr eines kartellrechtlichen Bußgeldes vorzubeugen.

Wenn Sie Händler sind und einen Distributorenvertrag überprüfen lassen möchten, wenden Sie sich auch sehr gerne an uns.

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Autorin: Sina Viergutz, stud. Praktikantin

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